Die unbezahlte unbezahlbare Arbeit

Care-Arbeit ist jene unbezahlbare (sorgende) Arbeit, die in privaten Haushalten und Familien ohne Bezahlung verrichtet wird. Dazu gehört das Großziehen und Erziehen von Kindern, die Krankenpflege oder das Sich-Kümmern um alte Menschen. Es wird gekocht, aufgeräumt, geputzt, eingekauft, zugehört, mitgefühlt, erklärt, unterrichtet, gewaschen, besorgt, gepflanzt, gegossen, gejätet, eingelegt, repariert, genäht, organisiert, transportiert und vieles mehr.

Ohne Care-Arbeit könnten Kinder, Kranke und alte Menschen kaum überleben; ökonomisch gesprochen, würden bei fehlenden Reproduktions- und Erhaltungstätigkeiten die Arbeitskräfte der Zukunft ausgehen, das bestehende Arbeitskontingent würde verschleißen, das Humankapital verloren gehen und die Produktion schließlich weltweit zum Stillstand kommen. Die unbezahlte Arbeit ist somit unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren des profit- und wettbewerbsorientierten Wirtschaftssystems. Maria Mies benennt 1986 sie als den „Untergrund des kapitalistischen Patriarchats oder der zivilisierten Gesellschaft“.

grundlegend, doch unsichtbar

Die Diskrepanz zwischen der Relevanz und der fehlenden (monetären) Erkenntlichkeit erscheint zwar paradox, aber sie ist kohärent mit geschlechtlich organisierten Wertigkeitsstrukturen und Tätigkeiten. Nicht nur erfolgt die Arbeit ohne Lohn, sie ist auch gesellschaftlich kaum anerkannt - die wenigsten Männer in Österreich können oder wollen es sich erlauben in Elternkarenz zu gehen. Im Gegensatz zur Repräsentation von prestigeträchtigen Tätigkeiten beispielsweise im Konzernmanagement oder auch als Feuerwehrmann, zeichnet sich die Care-Arbeit durch ihre generelle Unsichtbarkeit nicht nur in den Haushalten selbst, aber auch auf der Ebene der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung aus. Feministische Ökonominnen, wie die Schweizerin Mascha Madörin, beziffern den Wert dieser unbezahlten Care-Tätigkeiten je nach Berechnungsmethode und Ergänzung durch sozialstaatliche Ausstattung in den einzelnen Ländern auf 50 bis 70 Prozent des offiziellen Bruttoinlandproduktes. 2019 beziffert Oxfam den Wert der unentgeltlichen Pflegearbeit von Frauen weltweit mit 10,8 Billiarden Dollar. Das ist dreimal so viel wie in der Tech-Industrie weltweit erzeugt wird, bzw. rund 30mal das gesamte BIP Österreichs.

natürlich macht sie das…

Warum machen Menschen Care-Arbeit eigentlich gratis? Ein Grund ist eine innere Motivation, die es ermöglicht, dass diese Arbeit als „Berufung“, aus Liebe oder Pflichtgefühl tagtäglich verrichtet wird. Oder auch einfach aus Notwendigkeit, die häufig Frauen zufällt. Sie schuften gratis für ihre Lieben, allein und unsichtbar in der Privatheit, ohne Ausbildung zur Erzieherin, Pflegerin, Reinigungsfachkraft, Köchin, Gärtnerin... Neoklassische Ökonomen wie der Nobelpreisträger Gary Becker erklären diese gegenderte Aufteilung mit biologischen Vorteilen als auch durch geschlechtlich geprägte Sozialisation. Aufgrund der Disposition von Frauen für den Haushalt würde so auch der im Schnitt höhere Männerlohn (bei gleichwertigen Tätigkeiten) am Markt gerechtfertigt, wird hier gemeint. Diese Logik erscheint zwar absurd, im Zuge der Corona-Pandemie werden Frauen, insbesondere wenn sie Mütter sind, zur „Reservearmee Daheim“: Sie stecken beruflich zurück, erledigen noch mehr Haushaltsarbeit als normalerweise, vereinbaren Home-Office und Home-Schooling und fangen den Stress des Partners auf: Die Männergewalt in privaten Haushalten gegen Frauen (und Kinder) hat sich seit den ersten Lockdowns weltweit um rund ein Drittel erhöht, was die UNO als „Schattenpandemie“ bezeichnet. Der Einsatz an öffentlichen Geldern und Maßnahmen zur Unterstützung von Frauen ist hier sehr überschaubar geblieben.

Prekäre Bedingungen

Schließlich lebt auch die bezahlt erfolgende Fürsorgearbeit im medizinischen und pflegenden Bereich von der Motivation und Aufopferungsbereitschaft der Gesundheitsbediensteten, die oft genug über Leben und Tod entscheidet. Auch hier sind vermehrt Frauen und MigrantInnen beschäftigt; obwohl Frauen nur 40 Prozent der bezahlten Arbeitskräfte weltweit ausmachen, sind 70 Prozent der Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialsektor Frauen; 15 Prozent der Pflegekräfte sind MigrantInnen. Die Pflegetätigkeiten vor allem zu Beginn der Coronakrise erfolgten unter horrenden Arbeitsbedingungen: In den kaputtgesparten Gesundheitssystemen Italiens, Spaniens, Frankreichs, Großbritanniens und den USA wurde das Krankenhauspersonal teilweise schutzlos zu den COVID-19-Erkrankten geschickt. Die notdürftig mit Müllsäcken und selbstgebastelten Schutzmasken ausgestatteten Helfenden steckten sich an und verstarben auch in hohem Ausmaß. Wertschätzungsprobleme erlebt auch die während der Corona-Krise „berühmt“ gewordene, unerlässliche systemerhaltende Arbeit im (Lebensmittel)verkauf, von Reinigungskräften und LieferantInnen. Trotz ihrer Wichtigkeit ist sie oftmals prekär organisiert, gering bezahlt und wenig prestigeträchtig.

notwendiges Umdenken

Die Krise hat somit weltweit klar aufgezeigt, wo das vorherrschende ökonomische System tatsächlich krankt. Der „Untergrund des kapitalistischen Patriarchats“ mag die Pandemie noch zu tragen vermögen. Dass das für die Klimakrise auch noch gelten wird, ist nicht zu erwarten. Tatsächlich einziger Ausweg ist ein radikales Umdenken vorherrschender Wertigkeiten und eine bedingungslose Priorisierung von sorgenden Tätigkeiten. Radikaler als Pseudo-Boni und beleidigend geringe Infektionszulagen sollte eine solidarische Aufteilung und gerechte Bewertung aller Arbeit, nicht nur zwischen den Geschlechtern (und nicht nur innerhalb der Haushalte) sondern auch international erfolgen. Die Logik der unbezahlten Unbezahlbarkeit der Care-Arbeit dehnt sich leider auch auf die Ausbeutung von Natur und natürlichen Ressourcen aus. In den Schriften der großen Denker der Aufklärung entstanden Metaphern von der „Unterwerfung der Tiere und der Erde“ durch Mensch und Technologie, die die Ausbeutung von Kolonien, Rohstoffen und die Zerstörung von Habitaten legitimierten und für den Fortschritt als unerlässlich forderten. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir auch diese Prämissen dringend hinterfragen müssen.

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